Die Leichtathletik ist sein Leben-Seit 20 Jahren ist Ernest Radulian dabei

„Herr Radulian. Was sollen wir jetzt machen?“ Eine auf dem Trainingsplatz der jugendlichen Leichtathleten in Wennigsen alltägliche Frage. Und Ernest Radulian hat immer Antworten parat: Freundliche, einfühlende ebenso wie bestimmte. Seit 20 Jahren steht der Trainer am Rand der Tartanbahn und lenkt die Geschicke seiner Athleten. Auch heute wird er dort auf seinem Gartenstuhl sitzen, heute an seinem 80. Ehrentag. Dass er sein Glück mit den Athleten, die er liebevoll seine Kinder“ nennt, gefunden hat, ist gleich einer Reihe von Zufällen geschuldet. Geboren ist Radulian im rumänischen Sibiu, dem Hermannstadt in Siebenbürgen, aufgewachsen in Bukarest. Seine eigene sportliche Karriere währte nur kurz. Zweimal stand Radulian im rumänischen Junioren-Nationalteam, lief die 400 Meter in 51,4 Sekunden und hatte eine glänzende Karriere vor sich – bis zum 20. November 1955. „An das Datum erinnere ich mich genau. Am Tag vorher hatte es geschneit, aber ich sollte mein erstes 400-Meter- Hürden-Rennen laufen.“ Er lief, doch bei der Kälte und einem Beinahesturz zog er sich einen Leistenbruch zu. „Operationen gab es damals nicht.“ Erst 50 Jahre später wurde die Leiste operiert.
Auch die berufliche Karriere endete jäh. Schon nach dem ersten Jahr seines Mathematik-Studiums wurde Radulian als Bester seiner Uni für ein Stipendium in der UdSSR vorgeschlagen. Ein zweiter Kommilitone, der nach Moskau ging, ist mittlerweile ein hochdotierter Professor in den USA. Doch weil Radulian auf Weisung der Partei von der Liste für Moskau gestrichen wurde, ging diese Rechnung bei ihm nicht auf. Stattdessen fand Radulian Arbeit im Zementwerk Bicaz, und, weil sein Fabrikdirektor wohlwollend war, auch einen ersten Posten als Trainer. Er durfte die Schüler von Bruder Virgil, Schulleiter in Bicaz, trainieren. Die Trainerkarriere ging auch in Bukarest weiter, wohin er seinem Fabrikdirektor, der ins Ministerium wechselte, als Techniker folgte. Dort blieb er nur bis 1984. Dann durfte Radulian als Feind der Partei keine Jugendlichen mehr betreuen. „Ich habe nie den Mund gehalten. Alles was ich als Unrecht empfand, habe ich auch gesagt.“ Sechs Jahre später konnte Radulian ausreisen und Mutter sowie Bruder nach Niedersachsen folgen. Auch dort legt ihm das Leben Steine in den Weg. Den Prozess um Anerkennung von Rentenzeiten gab er nach 14 Jahren vor der letzten Instanz resigniert auf, lebt nur von der staatlichen Grundsicherung. Aber seinen Frieden hat Radulian trotzdem gemacht. Und das lag an der Leichtathletik. Bei einem Sprachkurs in Springe lernte er Eckhard Marten kennen, der einen Trainer für den TSV Kirchdorf suchte. Der Entschluss fiel sofort und dieses Projekt machte Radulian auch nach der Neugründung der Sparte beim TSV Wennigsen, der schon damals über eine Kunststoffbahn verfügte, zu seiner Herzensangelegenheit. Nach 20 Jahren sind viele hundert Athleten zusammen gekommen, die durch Radulians Schule gingen. Und das Herz des erfahrenen
Trainers schlägt immer noch für die Leichtathletik und „seine Kinder“.

so kennen seine schützlinge ihren trainer: Ernest Radulian geht auch in die Knie, um hilfreiche Tipps und Ratschläge zu verteilen.
Die Liste von Ernest Radulians Erfolgen als Trainer ist sehr lang. Sie beginnt im Jahr 1993 mit dem ersten Eintrag des Landesmeistertitels von Rafael Lucia, damals noch beim TSV Kirchdorf. Sein Weitsprungsatz von 6,75 Metern war fast 20 Jahre Landesrekord und der erste Sieg auf Niedersachsen- Ebene eines Radulian- Schützlings. Bis jetzt sind 109 Landestitel von mehr als 30 Athleten zusammengekommen. Den Rekord hält Marie Dannenberg aus Radulians derzeitiger Trainingsgruppe. Allein 18 Mal war sie bisher Landesmeisterin und holte im Winter in der Halle auch den 100. Meisterwimpel. Auch einen deutschen Meistertitel gab es zu bejubeln. Sarah Piesker wurde 2000 nationale Schüler- Meisterin im Blockwettkampf und zehrte nach dem Wechsel zu Landestrainer Joachim Witt noch lange von Radulians Grundlagenarbeit. Der DM-Titel im Dreisprung war ebenso ein Verdienst Radulians wie die drei WM Teilnahmen von Helge Schwarzer, der einst bei Radulian das Leichtathletik- ABC erlernte.